Liebe Leser!
Immer wenn ich als Kind meine Tante Anni in Favoriten besuchte, führte sie mich zum Wirten ums Eck aus. In diesem Vorstadtbeisl klassischer Prägung war der Herr Walter Oberkellner. Er schupfte den Laden quasi alleine. Wer die eigentlichen Wirtsleute waren, weiß ich gar nicht.
Die Tante Anni begrüßte der Herr Walter immer mit dem obligatorischen Glas Sherry zum Aperitif und mich mit den Worten: „Nau, jetz is er oba scho groß geworden, der Burli.“ Für die Tante und mich gab es danach, initiert mit Herrn Walters Frage: „Frau Anni, eh wie immer, gö?“, Tafelspitz mit Rösti und Spinat sowie mein heißgeliebtes „Pinocchio-Schnitzerl“. Der Herr Walter war super! Ein Vollblutkellner, der auf Zack war, seine Gäste zuvorkommend behandelte, die Stammgäste namentlich kannte, seinen Beruf mit Leidenschaft und Engagement ausübte.
Typen wie ihn braucht man von den Vorzügen seines Berufsstandes nicht großartig zu überzeugen. Für ihn hätte es wahrscheinlich gar nichts anderes gegeben. Wahrscheinlich hatte er neben seinem Talent auch das Glück, Zeit seiner Dienstjahre attraktive Arbeitsbedingungen vorzufinden und Arbeitgeber, die seine Mitarbeit schätzten und das auch zum Ausdruck brachten. Das ist nicht immer so. Denn obwohl der heimische Tourismus als Wirtschaftstreiber gilt, sieht er sich doch immer wieder mit kritischen Fragen zu seinem Image konfrontiert.
Die Gewerkschaft vida hat unter dem Titel „Wie geht es Ihnen?“ eine Umfrage unter 763 Beschäftigten im Tourismus zwischen 20 und 39 Jahre (47% weiblich, 53% männlich) durchgeführt. Das Ergebnis regt zum Nachdenken an. Die Kritikpunkte der Befragten – das Arbeiten am Wochenende, die schlechte Planbarkeit der Freizeit, die Überstundenvergütung, die Nachtruhe sowie die Vereinbarkeit von Job und Familie – sind eigentlich keine neuen, und das ist eigentlich schade. Immerhin gäbe es zahlreiche Möglichkeiten, diese Problembereiche abzuschwächen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das betrifft, wie aus den Ergebnissen der Studie ersichtlich, nicht nur die Entlohnung, sondern vielmehr die sogenannten Softskills im Umgang mit dem Team: Dem einzelnen Mitarbeiter Gehör zu schenken, ihm die Möglichkeit zu bieten, das Personalmanagement aktiv mitzugestalten – um nur einige zu nennen. Denn nur, und das wissen wir alle, wer Spaß an seiner Tätigkeit hat, ist zu Höchstleistungen fähig.
Jene Betriebe, die um die Wichtigkeit ihrer Mannschaft Bescheid wissen, erfreuen sich ohnehin an einem tollen Arbeitsklima mit Stammpersonal. Alle anderen müssen dem Umstand Rechnung tragen, dass laut der vida-Umfrage lediglich 52 Prozent ihren Beruf zu den derzeit vorliegenden Arbeitsbedingungen erneut ergreifen würden. Der Herr Walter wohl auch, da bin ich mir sicher!
Ihr Karl Schilling Chefredakteur
Schließlich machen wir das bessere Fachmagazin. Punkt.
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